Die Insolvenz ist ein schwerwiegender Zustand für ein Unternehmen, Mitarbeiter, Inhaber und Kunden sowie Lieferanten. Insolvenz bedeutet allgemein ausgedrückt, dass das Unternehmen seine finanziellen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann. Aber wie stellt man fest, ob dieser Zustand erreicht ist? Gibt es Grenzwerte? Was passiert, wenn Verantwortliche eine Insolvenzsituation nicht bemerken oder notwendige Vorschriften, die sich aus einer Insolvenz ergeben, nicht beachten? In Deutschland gibt es strenge Regeln und Vorschriften, die Unternehmen befolgen müssen, wenn sie sich in einer solchen Situation befinden. In diesem Blogbeitrag werden wir uns genauer damit befassen, wann ein Unternehmen in Deutschland Insolvenz anmelden muss. Relevant für Insolvenzangelegenheiten sind in erster Linie die Rechtsvorschriften, welche in der Insolvenzordnung (InsO) niedergelegt sind.
Es gibt zwei Zustände, bei deren Vorliegen eine Insolvenz angemeldet werden muß. Beim Vorliegen eines dritten Zustandes kann Insolvenz angemeldet werden.
- Zahlungsunfähigkeit
- Drohende Zahlungsunfähigkeit
- Überschuldung
Zu 1. Zahlungsunfähigkeit, §17 InsO:
Im Gesetz heisst es in §17 Abs. 2 Satz 1 InsO: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.“
Unter dem Schuldner versteht man sowohl Personen, als auch Unternehmen. Es kommt darauf an, wer der Zahlungspflichtige ist, der wird als Schuldner bezeichnet. Eine Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn das Unvermögen zur Zahlung wesentlich und dauerhaft ist, ansonsten spricht man von einer Zahlungsstockung. Wie unterscheidet man diese Zustände? Zahlungsfähigkeit liegt grundsätzlich vor, wenn der Schuldner mehr als 90% seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen erfüllen kann oder wenn er diesen Zustand zwar kurzfristig nicht erreichen kann, jedoch binnen drei Wochen diesen Zustand wieder herstellen kann. Umgekehrt ausgedrückt: Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn mindestens 10% der fälligen Rechnungen länger als 3 Wochen nicht beglichen werden können.
Wichtig ist es daher, die Buchhaltung aktuell zu haben und eine Vorausrechnung für mindestens drei Wochen zu erstellen. In der Beurteilung der 10% Grenze sind immer alle fälligen Beträge zu berechnen unabhängig davon, welche Fälligkeiten bei einzelnen Rechnungen vorliegen. Es ist also egal, ob eine Rechnung schon seit 1 Tag oder seit einem Jahr fällig ist, der Rechnungsbetrag ist dem Posten der fälligen Rechnungen zuzurechnen.
Es ist bei der Feststellung der Zahlungsfähigkeit und der Zahlungsverpflichtungen eine Liquiditätsbilanz aufzustellen. Handelt es sich nicht nur um eine kurzfristige Zahlungsstockung, sondern um eine länger vorliegende Zahlungsunfähigkeit, so besteht Anmeldepflicht der Insolvenz.
Zu 2. Drohende Zahlungsunfähigkeit: §18 InsO. Wird festgestellt, dass „demnächst“ mehr als 10% der fälligen Rechnungen nicht bezahlt werden können, liegt noch keine anmeldungspflichtige Insolvenz vor, der Schuldner kann aber auch aufgrund der kommenden Zahlungsunfähigkeit vorzeitig einen Insolvenzantrag stellen. Der Schuldner kann und sollte aber bei Feststellung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Maßnahmen ergreifen, die dem Eintreffen dieses Zustandes entgegenwirken. Es gibt da viele Maßnahmen, wir beraten Sie gern. In der Praxis haben Insolvenzanträge aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit wenig Relevanz, getroffene Maßnahmen zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit zeigen oft Wirksamkeit.
Der Prognosezeitraum, für den die drohende Zahlungsunfähigkeit einen Grund zur Anmeldung der Insolvenz darstellt, war streitig, jetzt wird ein Betrachtungszeitraum von bis zu 24 Monaten als angemessen angesehen.
Zu 3. Überschuldung, §19 InsO:
Im Gesetz heisst es in §19 Abs. 1: „Bei einer juristischen Person ist auch die Überschuldung Eröffnungsgrund.“
Damit hat der Gesetzgeber festgelegt, dass natürliche Personen das Vorliegen einer Überschuldung nicht festzustellen haben, Überschuldung ist nur für Kapitalgesellschaften (z.B. GmbH oder Aktiengesellschaft) und alle andere juristische Personen ein Eröffnungsgrund eines Insolvenzverfahrens.
Was ist denn eine Überschuldung? §19 Abs. 2 Satz 1 InsO lautet: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“
Zur Beurteilung der Überschuldung wird also nicht nur das aktuelle liquide Vermögen in der Liquiditätsbilanz betrachtet, sondern die Verbindlichkeiten des Schuldners werden auch gegen das Vermögen gegengerechnet. Es wird eine Überschuldungsbilanz aufgestellt. Deckt das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht, ist eine Fortführungsprognose zu erstellen. Wird in der Fortführungsprognose für einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten die mehr als 50% wahrscheinliche Fortführung des Unternehmens festgestellt, liegt kein Grund für einen Insolvenzantrag vor.
Insolvenzantragspflicht
In Deutschland besteht eine Insolvenzantragspflicht nach §15 a InsO für juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit. Das bedeutet, dass ein Unternehmen verpflichtet ist, Insolvenz anzumelden, sobald die Insolvenzreife, also Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, eingetreten ist oder absehbar ist.
Da ein Unternehmen als juristische Person nicht selbst handeln kann, trifft die Pflicht zur Antragsstellung die jeweiligen Vertreter des Unternehmens, also Geschäftsführer oder Vorstand. Die Geschäftsführer oder Vorstände eines Unternehmens können in persönliche Haftung kommen, wenn sie die Insolvenzantragspflicht nicht erfüllen. Dabei ist es nicht relevant, ob sie von dem Eintritt einer Insolvenzantragspflicht wussten oder nicht. Wenn es beispielsweise zwei vertretungsberechtigte Geschäftsführer einer GmbH gibt, wobei sich einer um Buchhaltung und der andere um den Vertrieb kümmert, so sind doch beide zu 100% auch mit ihrem gesamten Privatvermögen zur Begleichung von Schulden des Unternehmens haftbar, wenn einer Insolvenzantragspflicht nicht nachgekommen wird (sog. Insolvenzverschleppung). Es ist dann auch irrelevant, ob z.B. das Unternehmen einer beschränkten Haftung unterlag. Die Haftung der gesetzlichen Vertreter für verspätete Insolvenzanmeldung ist immer unbeschränkt, deren Privatvermögen kann damit vollständig zur Zahlung der Verbindlichkeiten des Unternehmens herangezogen werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die finanzielle Situation des Unternehmens ständig zu überwachen und bei Anzeichen von Insolvenzreife sofort zu handeln.
Sanierung und Insolvenzverfahren
Die Insolvenz bedeutet nicht zwangsläufig das Ende eines Unternehmens. In vielen Fällen kann eine Sanierung versucht werden, um das Unternehmen zu retten. Es gibt Insolvenzverfahren mit der gerichtlichen Bestellung eines Insolvenzverwalters und es gibt Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. In beiden Konstellationen ist eine Restrukturierung möglich.
Die Insolvenzantragspflicht in Deutschland ist eine wichtige rechtliche Verpflichtung, die Unternehmen nicht ignorieren dürfen. Es ist von entscheidender Bedeutung, die finanzielle Gesundheit des Unternehmens ständig zu überwachen und bei Anzeichen von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit unverzüglich zu handeln. Die frühzeitige Insolvenzanmeldung kann dazu beitragen, schwerwiegendere rechtliche und finanzielle Konsequenzen zu vermeiden und ermöglicht es dem Unternehmen, möglicherweise durch Sanierungsmaßnahmen gerettet zu werden.
Wilhelm Vockel
Diplomkaufmann, Wirtschaftsjurist LL.M. & Wirtschaftsmediator
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Wenn Sie sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden und sich unsicher sind, ob Sie Insolvenz anmelden müssen, ist es ratsam, sich fachlichen Rat bei einem Fachanwalt für Insolvenzrecht, einem Steuerberater oder einem Wirtschaftsjuristen zu holen.
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